About the artwork
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Jörg Heiser / Krystian Woznicki / Nicolas Trembley
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10 sec. thinking about the future

Jörg Heiser
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(EN) Phantom Future

Quobo - Art in Berlin, 1989 - 1999, exhibition catalogue, Institute for Foreign Cultural Relations, Stuttgart, 2000

[...] Andy Warhol was embracing total nowness in the polysexual atmosphere of the Factory. His three minute Screen Tests celebrate nothing but glamour and mystery in the look of people like Edie Sedgwick and Bob Dylan. The portrait subjects were supposed to simply „be themselves“ *6. But the invitation to authenticity turns into a total performance (just as Warhol intended) – the effect of being recorded on film.
During the decades since the the Screen Tests, this compulsion for self-presentation in media posturings has attained the status of social normality, not least in Berlin – see the Love Parade.
But Fischer / el Sani’s 10 second-movies *7 (like Andy Warhols’s Screen Tests, these involve unmoving moved portraits) play a trick on this kind of normality. When the face concentrates on thoughts of the future, <gazing them into> the camera lens as if thoughts could telekinetically be burned into the film itself, the face <forgets> its repertoire of studied poses, and a <sober> portrait is possible even with stoned night owls. Maybe there’s not always a flash of glamour, but in each case, the mystery of a possible future glitters from glassy eyes. (...)

*6 Andy Warhol, Pat Hackett, Popism. The Warhol Sixties, San Diego, New York, London 1990, p. 110
*7 Nina Fischer / Maroan el Sani, Tokyo [sur]face – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 1998; Roma / Amor – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 1999; Berlin [sunrise] – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 2000

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Jörg Heiser
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(DE) Phantom Zukunft

Quobo - Kunst in Berlin, 1989 - 1999, Ausstellungskatalog, Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart, 2000

[...] Andy Warhol umarmte um 1966 im polysexuellen Klima der Factory die totale Gegenwärtigkeit: Seine dreiminütigen Screen Tests feiern nichts als Glamour und Geheimnis im Gesicht von Leuten wie Eddie Sedgwick oder Bob Dylan. Die Porträtierten sollten einfach sein, was sie sind, „be themselves“ *6. Die Aufforderung zur Authentizität schlägt aber durch den Aufzeichnungseffekt Film (durchaus von Warhol gewollt) zur totalen Performanz um. In den Jahrzehnten seit den Screen Tests hat sich dieser Zwang der medialen Selbst-Präsenz in Posen ja nicht zuletzt in Berlin – Stichwort Love Parade – zur gesellschaftlichen Normalität entwickelt.
In Fischer / el Sanis 10-Sekunden-Filmen *7 (die mit Warhols Screen Tests ja gemeinsam haben, daß es sich um unbewegte bewegte Porträts handelt) wird nun diese Normalität ausgetrickst. Konzentriert darauf, Gedanken an die Zukunft in das Kameraobjektiv ‘hineinzudenken’, als könnte man sie so telekinetisch auf das Filmmaterial brennen, ‘vergißt’ das Gesicht das Repertoire erlernter Posen, und selbst beim bekifften Nachtschwärmer wird ein ‘nüchternes’ Porträt möglich. Aber vielleicht blitzt gerade dann zwar nicht immer Glamour, so doch in jedem Fall das Geheimnis einer möglichen Zukunft aus den glassigen Augen. [...]

*6 Andy Warhol, Pat Hackett, Popism. The Warhol Sixties, San Diego, New York, London 1990, S. 110
*7 Nina Fischer / Maroan el Sani, Tokyo [sur]face – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 1998; Roma / Amor – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 1999; Berlin [sunrise] – 10 seconds thinking about the future, 16mm, Film-Loop, 2000

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Krystian Woznicki
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Blauer Sand

Im Krisenherd der Dromovision, Auszug aus dem Artikel, 14.11.2000, Telepolis

„Japan [is] like a desert island with no history. [...] Things that happened yesterday are already covered with shifting sand. And last month´s events are completely hidden. The year before is twenty meters under, and things that happened five years ago you´d have to bore to unearth. Memories of ten years ago are fossils. There are people who know the past, but they are illeterate and mute.“ (Masahiko Shimada, 1989)
Polkappen schmelzen - meterweise, sekundenschnell, unaufhaltsam. Der Meeresspiegel steigt, und unser Planet wird überflutet. Wer sich retten kann, flüchtet in unterirdische Bunker, die nach und nach zu subterranen Städten ausgebaut werden. Eine Shopping-Mall Zivilisation entsteht. Eine Gesellschaft der Enge. Wenig Zeit, kaum Platz. Begriffe wie Freiheit und Privatspähre werden neu definiert. Aber auch öffentlicher Raum. Keine Sitzbänke sind im Kanalverkehr vorzufinden, keine Gelegenheit sich mal kurz hinzusetzen und zu entspannen.
Raum und Zeit zum Durchatmen gibt es einfach nicht. Man ist stets in Bewegung. Wer stillsteht, wird an den Rand geschoben. Wirklich nichts für Klaustrophobe.
Stumme Menschentrauben generieren einen gleichmässigen Strom, was auch die einzige Orientierung in der anonymen Masse ist. Es geht vorwärts, immer vorwärts. Im Grunde muss man sich nur treiben lassen. Plötzlich taucht am Horizont ein Gesicht auf, regungslos. Der Körper statisch, wie eine Statue. Steht unter Strom, scheint die massive Distraktion der Umgebung mit jeder einzelnen Pore zu verarbeiten: Naturschauspiel Schnittstelle. Was jedoch sichtbar ist, also als reines Oberflächenphänomen ohne Infrarot-Brille zu beobachten ist, kann
mit dem Interieur einer mexikanischen Kirche verglichen werden. Ornamental bis ins kleinste Detail. Kringel, Wölbungen, geschwungene Wurmfortsätze. Eine wahnsinnige Dichte an Informationen: inkrustierend und intraabdominal anmutend. Wie gesagt: Nicht innen, sondern aussen, auf ihrer Haut, genauer auf ihrem mit exzentrischen Stoffelementen bedeckten Körper breitet sich ein Mosaik aus, das unsere Sinnesorgane überfordert. Selten war sehen so anstrengend.
Nina Fischer und Maroan el Sani haben dieses Geschöpf bei Seite genommen und dazu bewegt ein paar Fragen zu beantworten. Das war vor der Jahrhundertwende. Im Gespräch zeichnet sie ein Bild von der Zukunft, das nach Apokalypse schmeckt: „1999 wird es Riots
geben.“ Das hat man schon gehört. Doch wo? Kulturkritiker Sawaragi Noi erinnert sich: „In den 70ern, als ich noch zur Grundschule ging, las ich viel von Nostradamus und seinen Prophezeiungen. Es gab damals eine Obessesion mit parapsychologischen Phänomenen, die von den Massenmedien massiv gefördert wurde. Diese Armageddon-Faszination erschien zuerst am Ende der Studentendemonstrationen, als man eine Art ideologisches Vakuum verspürte. Die Leute waren entpolitisiert und von der Geschichte distanziert. In den 70ern
bewegte sich sogar die Kunst in Richtung Zen; das Motto war „Zurück zum Nichts“. Übernatürliche Kräfte und Prophezeiungen passten perfekt in dieses Szenario. Erstaunlich viele Leute glaubten, dass 1999 das Ende der Welt kommen würde.“ *1
Das interviewte Mädchen wird jedoch zu jung sein, um diese Erinnerungen teilen zu können. Ihr Bezugshorizont ist ein anderer. Sie liest Magazine wie Popeye und Studio Voice, guckt Fuji TV und vertreibt sich ihre Zeit in Harajuku. Ihre apokalyptische Imagination wird von Nachrichten genährt, die eine Reise gemacht haben. Klar. Wer sollte schon in Japan den Aufstand proben? Wer sollte hier auf die Barrikaden steigen und wofür? Es sind Images, die im Post-Rodney-King-Beating-Amerika fabriziert, in Filmen wie Kathrin Bigelows „Strange Days“ in Kunst überführt und von japanischen Journalisten und Redakteuren, die des Englischen mächtig sind, für alle Magazin-Junkies zwischen Sapporo und Naha aufbereitet werden: Sexy News, aus dem allzu fernen Ausland, erhalten in der medialen Atmosphäre in Japan ihre eigene Realität, werden internalisiert und assimiliert, verlieren auch immer wieder ihren Bezug zum Ursprung, zur Quelle, werden neu geformt und neu gedacht. Als Konsequenz glaubt Fischer/el Sanis Interviewpartnerin, daß es Riots geben wird, in Tokio...Offensichtlich eine medial vermittelte Dystopie: eine geborgte Vision, eine Second- Hand-Fantasie. The future has been televised. Und alle haben es gesehen. Ein Leben im Loop: We were born for repetition.
Fruits heisst das Magazin, in dem diese Teenager eine Bühne gefunden haben. Auf knapp einhundert Seiten gibt es ihre Portraits zu sehen. Seit Jahren posieren sie vor dem Kamera-Auge der Fruits-Foto-Journalisten, in ihren Alltagstrachten, auf der Strasse, beim Einkaufsbummel. Shopping Windows. Dabei sehen die meisten so aus, als würden sie gerade zum Weltraum-Fasching gehen. Spaced out. Wandelnde Kirchen-Interieurs, festgehalten in Serien von Fotos, die – soweit ich zurückdenken kann – nie anders ausgesehen haben. Ewige Gegenwart flimmert hier in bunten Farben. Fischer/el Sani haben diese Menschen nicht nur interviewt, sondern auch gefilmt. Statische Kameraeinstellung, klassicher Ausschnitt (Torso oder nur Kopf), unkonventionelles Filmmaterial (Verfallsdatum längst überschritten) und eine Aufgabenstellung: 10 Sekunden an die Zukunft denken. Gesichter blicken uns entgegen, die in einem Moment von Reflexion eine gewisse Unergründbarkeit an den Tag legen. Als wollten sie mit ihren Augen den Gedankenfluss in das 16mm-Filmmaterial einschreiben, schauen manche wie gebannt in die Kamera. Schüchtern, voller Zuversicht, nachdenklich – die Blicke lassen sich kaum über einen Kamm scheren. Vereinheitlichend wirkt hingegen die Filmästhetik. Die Bilder sind in ein isländisches Blau getaucht und aus vielen, individuellen Körnern zusammengesetzt. Die Konturen sind nicht nur flüssig, sie wirken verrückbar, irgendwie modular. Ein Windstoss scheint zu genügen, um das feinverteilte Arrangement umzustrukturieren - als wären die Menschen mit der „Zukunft im Gesicht“ (Asai Takashi) in blauem Sand gezeichnet.

*1- Spex Magazin, S. 50-53, Köln, November 1995

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Nicolas Trembley
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Nina FIscher, Maroan el Sani
Tokyo(sur)face – 10 sec. thinking about the future

Video program by bureaudesvideos.com at Centre George Pompidou, Paris, 2005

Comment s’articulent les relations entre l’audible et la société? Quels en sont leurs traces? Nina Fischer & Maroan el Sani analysent depuis quelques années les liens entre la fabrication de certains types de sons et leurs rapports avec les données sociales et économiques des lieux où ils sont générés. Par exemple, dans leurs recherches photographiques et cinématographiques qui documentent certains clubs underground de Berlin, (disparus aujourd’hui) et qui se sont créés de façon anarchique au moment de la chute du mur dans l’euphorie de la réunification, ils posent la question du rapport entre l’architecture de ces endroits et leur fonction, conçus à un moment spécifique de l’histoire.
Lorsqu’ils visitent des studios de son de cinéma abandonnés, ils interrogent la mémoire sonique du lieu et lorsque qu’ils suivent de jeunes adolescents japonais dans les écoles qui fabriquent des stars de la chanson populaire au japon, c’est le rapport avec l’économie consumériste et la musique qui est mis en avant. Dans Tokyo(sur)face – 10 sec. thinking about the future, qui fait partie d’une série de films tournés à Rome et à Berlin, il n’y a en fait aucun son audible. Il s’agit d’une réflexion intérieure, celle des “acteurs”, anonymes choisis dans les rues de Tokyo. Les artistes filment leurs visages et leur demande de penser pendant 10 secondes au futur. Le spectateur n’a aucune indication relative à cette réflexion et ne peut qu’imaginer le son de cette pensée au travail. Qu’est ce que serait pour nous, pour moi, le futur?

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